In tiefer Trauer by Lehane

In tiefer Trauer by Lehane

Autor:Lehane
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: General Fiction
veröffentlicht: 2014-01-20T05:00:00+00:00


Er ging mit uns zu einem Lokal in Bradenton, in dem man die ganze Nacht essen konnte. Die Straßen in der Umgebung waren verlassen, nicht die Spur von menschlichem Leben, es schien, als sei kurz vor unserer Ankunft eine Neutronenbombe eingeschlagen. Die leeren dunklen Fensterscheiben in den vereinzelten Wolkenkratzern und klotzigen Sozialbauten rund um das Lokal starrten auf uns herab.

Drinnen saßen ein paar Menschen, anscheinend Nachteulen: ein Trio von Lkw-Fahrern am Tresen, die mit der Kellnerin flirteten, ein einsamer, zeitungslesender Wachmann, einen Aufnäher mit dem Schriftzug »Palmetto Optics« auf der Schulter, dessen einzige Begleitung eine Tasse Kaffee war, zwei Krankenschwestern in zerknitterter Tracht mit gesenkten, müden Stimmen zwei Sitzgruppen neben uns.

Wir bestellten zwei Kaffee, und Jay bestellte ein Bier. Einen Moment lang studierten wir die Speisekarte. Als uns die Kellnerin die Getränke servierte, bestellte jeder ein Sandwich, obwohl niemand von uns besonders hungrig war.

Jay steckte sich eine Zigarette zwischen die Lippen und starrte aus dem Fenster, als ein Donnerschlag ein Loch in den Himmel riß und es zu regnen begann. Es war kein leichter Regen, auch wurde er nicht langsam stärker. Zuerst war die Straße trocken und schimmerte schwach orange im Licht der Straßenlampen, und im nächsten Augenblick verschwand sie hinter einer Wand aus Wasser. Innerhalb von Sekunden bildeten sich auf dem Gehsteig brodelnde Pfützen, und der Regen hämmerte so laut auf das Blechdach des Lokals, als wenn mehrere Wagenladungen Zehncentstücke vom Himmel fielen.

»Wen hat Trevor mit euch hier runtergeschickt?« wollte Jay wissen.

»Graham Clifton«, antwortete ich. »Und da ist noch ein zweiter: Cushing.«

»Wissen sie, daß ihr mich aus dem Knast holen wolltet?«

Ich schüttelte den Kopf. »Wir haben sie ständig abgeschüttelt, seitdem wir hier sind.«

»Warum?«

»Gefallen mir nicht.«

Er nickte. »Haben die Zeitungen veröffentlicht, wie der Typ hieß, den ich angeblich gekillt habe?«

»Nicht, daß wir wüßten.«

Angie beugte sich über den Tisch und zündete ihm die Zigarette an. »Wer war es?«

Jay zog an der Zigarette, nahm sie aber nicht aus dem Mund. »Jeff Price.« Er schaute auf sein Spiegelbild im Fenster, während der Regen in Rinnsalen die Scheibe herunterlief und seine Gesichtszüge verwischte, seine Wangenknochen einschmolz.

»Jeff Price?« fragte ich. »Der ehemalige Supervisor von Trauer & Trost? Der Jeff Price?«

Nun nahm er die Zigarette aus dem Mund und aschte in den schwarzen Plastik-Aschenbecher. »Du hast deine Hausaufgaben gemacht, D'Artagnan.«

»Hast du ihn umgebracht?« fragte Angie.

Er nahm einen kleinen Schluck von seinem Bier und sah uns über den Tisch hinweg an, den Kopf leicht zur Seite geneigt, seine Augen glitten von rechts nach links. Noch einmal zog er an der Zigarette, wandte den Blick von uns ab und sah dem Qualm nach, der aus der Glut emporstieg und über Angies Schulter zog.

»Ja, ich habe ihn umgebracht.«

»Warum?« fragte ich.

»Weil er schlecht war«, erwiderte er. »Ein wirklich schlechter Mann.«

»Da draußen laufen 'ne Menge schlechter Männer herum«, gab Angie zurück, »auch schlechte Frauen.«

»Stimmt«, sagte er. »Stimmt vollkommen. Aber Jeff Price? Dieses Arschloch hätte einen viel quälenderen Tod verdient gehabt. Das garantiere ich euch.« Jetzt nahm er einen großen Schluck von seinem Bier. »Er mußte dafür bezahlen. Er mußte.«

»Wofür zahlen?« fragte Angie.



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